Der Rocktopus

Es war ein warmer, sonniger Tag, als Fuchs Strubbelrute und Marvin durch den Wald schlenderten. Der kleine Fuchs hatte bei einem seiner Ausflüge einen Strauch mit süßen Beeren entdeckt und dummerweise Marvin davon erzählt. Natürlich wollte der Wald- und Wiesenoktopus jetzt unbedingt auch von den Beeren kosten. Strubbelrute ärgerte sich, dass er nicht einfach den Mund gehalten hatte, denn er konnte sich noch gut an die Beerenschlacht erinnern, die sich die beiden Freunde vor einiger Zeit geliefert hatten. Dabei waren weniger der leckeren Beeren im Mund gelandet, als auf Strubbelrutes Fell. Der kleine Fuchs nahm sich fest vor, heute vorsichtiger zu sein. Mit schnellen Sprüngen hüpfte er eine kleine Böschung nach oben und blieb plötzlich überrascht stehen. Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand eine Gestalt, die er noch nie zuvor gesehen hatte, die ihm aber dennoch sehr vertraut vorkam.

Gebannt starrte der kleine Fuchs auf das Wesen vor ihm. Acht lange, schmale Arme und ein großer Kopf – das Wesen sah fast genauso aus, wie Marvin, auch wenn es ein wenig kleiner war. „Wer bist du?“ fragte Strubbelrute vorsichtig. Das Wesen blickte erschrocken auf, bemerkte den Fuchs und wollte sofort verschwinden. „Warte!“ rief ihm Strubbelrute zu, „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich kenne euch Wald- und Wiesenoktopusse schon.“ Das Wesen blieb stehen und schaute den kleinen Fuchs misstrauisch an. „Ich bin kein Wald- und Wiesenoktopus“, sagte es schließlich, „ich bin ein Rocktopus.“
„Ein Rocktopus?“ mischte sich jetzt Marvin ein, der sich endlich auch die Böschung nach oben geschoben hatte, „Was soll das denn sein? Von Rocktopussen habe ich noch nie nichts gehört.“ – „Ich bin ja auch der einzige Rocktopus auf der ganzen, ganzen Welt“, antwortete das Wesen stolz. „Ahja“, entgegnete Marvin nur und tippte sich mit einem seiner Arme an die Stirn. „Was macht denn ein Rocktopus?“ fragte der kleine Fuchs neugierig. „Auf jeden Fall komisch aussehen und stinken, hähä“, bemerkte Marvin gehässig. „Ein Rocktopus ist ein Meister der Tarnung. Aber ich tarne mich nicht mit Blumen und Pflanzen, sondern mit Felsen und Kristallen.“ – „Da habe ich eine Idee, gnihihi“, lachte Marvin hinterhältig.

Im nächsten Moment flogen Steine in Richtung des kleinen Rocktopuses, die Marvin vom Boden aufgesammelt hatte. „Was machst du da?“ rief Strubbelrute wütend. „Na ich helfe ihm bei seiner Tarnung, gnihihi. Hast du doch gehört, dass er sich mit Steinen tarnt.“ Der Rocktopus hatte sich umgedreht und war eilig in einer Höhle verschwunden. „Du bist gemein!“, brüllte Strubbelrute seinen Freund an, dann eilte er dem sonderbaren Wesen hinterher. In der Höhle war es dunkel und angenehm kühl. Vorsichtig tastete sich Strubbelrute vorwärts, als er vor sich plötzlich ein geheimnisvolles Leuchten bemerkte.

 

Der kleine Fuchs war schon tief in die Höhle gelaufen und das Leuchten war jetzt so hell, dass er die Wände um sich herum erkennen konnte. Zu seiner großen Verwunderung war es der Rocktopus, der zu leuchten schien. Der Kleine saß zusammengekauert auf einer Felsplatte und hatte die Arme schützend um den Kopf gelegt. „Rocktopus, huhu, komm mal wieder rauhaus“, erschallte Marvins Stimme vom Ausgang, „ich habe hier etwas Schönes für dich, gnihihi.“ 
„Tut mir leid“, flüsterte Strubbelrute, als er nur noch wenige Schritte von dem Wesen entfernt stand, „Marvin ist manchmal sehr, sehr gemein.“ – „Ach, das kenne ich schon“, entgegnete der Rocktopus traurig, „deshalb lebe ich auch lieber in einer Höhle, weit weg vom Lärm und Trubel des Waldes und weit weg von den Hänseleien der anderen, die nicht verstehen können, wenn man anders ist, als sie.“

 

Nachdenklich und fasziniert betrachtete Strubbelrute den kleinen Rocktopus. Er selbst kannte das Gefühl, sich fremd und einsam zu fühlen. „Anders zu sein, bedeutet aber auch, etwas Besonderes zu sein“, sagte der kleine Fuchs schließlich. Der Rocktopus lächelte zaghaft: „Meinst du wirklich?“ – „Na klar! Und du bist auf jeden Fall etwas besonders. Ich habe noch nie so ein wunderbares Leuchten gesehen.“ – „Das sind die Kristalle“, erklärte der Rocktopus stolz, „Sie können das Licht der Sonne speichern. Egal, wie tief ich in der Höhle bin, ich habe immer Licht. Ist das nicht wunderbar?“ Strubbelrute nickte staunend.

 

„Rocktopus, huhu, ich hab hier was für dich. Es sieht komisch aus und stinkt, das wird dir gefallen, gnihihi. Komm mal wieder rauhaus!“ – „Komm du doch rein“, rief Strubbelrute zurück. „In die Höhle? Nee, viel zu dunkel und zu schmutzig. Und außerdem gibt es da bestimmt riesige Spinnenweben, brrr. Ich hasse Spinnenweben.“ – „Ich dachte, ihr Wald- und Wiesenoktopusse seid sehr, sehr mutig?“ fragte Strubbelrute hinterlistig. „Äh“, stammelte Marvin verlegen und war still. Aber nur für einen Moment, denn dann pöbelte er weiter: „Stinkopus, wo bist du? Haaaaalloooo!!!“ Wütend blickte Strubbelrute in Richtung des Ausgangs. Plötzlich kam ihm eine Idee.

 

Ungeduldig saß Marvin vor der Höhle und schaute angestrengt in das Innere. Zu gerne würde er wissen, was Strubbelrute und der komische Rocktopus so lange darin machten. Aber trotz seiner Neugier würde er auf gar keinen Fall auch nur einen seiner Arme in diese Höhle setzen. Auf einmal bemerkte er in der Höhle ein geheimnisvolles Leuchten. „Ahhhh“, brüllte jetzt Strubbelrute, „Hilfe! Der Geist der Höhle ist erwacht.“ Marvin zuckte zusammen. Er sah, wie sich das Leuchten näherte und dann sah er Strubbelrute, der panisch in Richtung Ausgang rannte. Den sonst sehr, sehr mutigen Wald- und Wiesenoktopus überkam die Angst. „Hilfää“, brüllte er und rannte die Böschung hinunter.
Kichernd schauten ihm Strubbelrute und der kleine Rocktopus hinterher. „Eigentlich möchte ich keinen Besuch haben“, sagte der Rocktopus schließlich, „aber du darfst gern mal vorbei schauen.“ – „Das mache ich“, versprach Strubbelrute. Dann schlenderte er vergnügt die Böschung hinunter. Er würde jetzt zum Beerenstrauch laufen – und wie es aussah, hatte er heute alle Beeren für sich allein.