Der unheimliche Nebel

„Und du willst wirklich, wirklich nicht mitkommen?“ fragte Marvin und schaute Strubbelrute wütend an. „Nö“, antwortete der kleine Fuchs und streckte sich, „ich möchte lieber noch ein wenig schlafen.“ – „Ihr Füchse seid wirklich sehr, sehr faul und sehr schlechte Freunde noch dazu!“ schimpfte der Wald- und Wiesenoktopus, doch Strubbelrute gähnte nur herzhaft. „Wenn du meinst. Aber wozu soll ich denn überhaupt mitkommen? Die Sträucher für deine neue Tarnung kannst du doch auch alleine suchen, oder?“ – „Ja, ja“, antwortete Marvin schnell, „aber es ist noch dunkel und allein habe ich Ang…“ Hastig presste er sich zwei seiner Arme vor den Mund. Das war knapp! Auf gar keinen Fall durfte er vor seinem Freund zugeben, dass er Angst hatte, alleine in den Wald zugehen. Strubbelrute würde ihn ganz bestimmt auslachen. Ohne ein weiteres Wort drehte sich Marvin um und schlich trotzig davon.
Strubbelrute kicherte vergnügt in sich hinein. Marvin war manchmal ein ganz schöner Angstoktopus, auch wenn er das niemals zugeben würde. Er überlegte, ob er Marvin hinter schleichen und ihn mal tüchtig erschrecken sollte, aber dafür war er wirklich zu faul. Er wischte sich mit den Pfoten über die Augen, rollte sich gemütlich zusammen und war schon im nächsten Moment wieder eingeschlafen.
Strubbelrute hatte einen wunderbaren Traum. Die Sonne schien warm auf die Wiese, der kleine Fuchs sprang durch riesige Pusteblumen, deren Sporen im Sonnenlicht funkelten. Strubbelrute versuchte gerade, eine besonders große Blume auf seiner Schnauze zu balancieren, als ein merkwürdiges Geräusch an seine Ohren drang. „Hiiilfe, Strubbelrute, hiiiilfeäääää!“ Der kleine Fuchs schreckte hoch und sah Marvin, der panisch mit 4 Armen in der Luft ruderte und auf ihn zugerannt kam.

„Hilfe“, keuchte Marvin, als er Strubbelrute erreichte, „es war schrecklich, wirklich sehr, sehr… unheimlich… und…“ Der Wald- und Wiesenoktopus war blass geworden und zitterte am ganzen Körper. So hatte Strubbelrute seinen Freund noch nie gesehen. „Jetzt mal ganz langsam, Marvin, was ist denn passiert?“ – „Dort oben“, stieß Marvin hervor und zeigte mit einem seiner Arme auf den Beginn des Waldes, „dort oben, Nebel und … und leuchtende Punkte im Nebel, schrecklich.“ Strubbelrute kratzte sich nachdenklich am Kopf. So richtig schlau wurde er aus dem Gestammel seines Freundes nicht.
Und viel mehr würde ihm Marvin wohl auch nicht mehr sagen können. Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit. „Los, komm, Marvin! Wir schauen uns deinen Nebel mal an.“ - „Auf gar keinen Fall“, antwortete der Wald- und Wiesenoktopus bestimmt. „Aber…aber wir müssen auch gar nicht hoch laufen, der Nebel… kommt zu uns. Hilfääää!“

Fasziniert und verwundert zugleich beobachteten Strubbelrute und Marvin, wie ein dichter Nebelvorhang zwischen den Baumen hervorzog und sich langsam über die Wiese ausbreitete. „Da, da ist es wieder!“ schrie Marvin plötzlich und deutete mitten in den Nebel hinein. Strubbelrute stutzte, doch dann sah auch er den leuchtenden Punkt, der sich irgendwie zu bewegen schien. Da war noch einer und noch einer und … Plötzlich waren überall im Nebel diese leuchtenden Punkte zu sehen. Marvin presste sich flach auf den Boden. Das tut er immer, wenn er seine Tarnhaltung einnimmt. Auch dem kleinen Fuchs wurde plötzlich ganz komisch in seinem Bauch. Aber weil er auch sehr neugierig war, blieb er sitzen und beobachtete, wie der geheimnisvolle Nebel immer näher kam.
Der seltsame Nebel war nur noch wenige Fuchssprünge von Strubbelrute entfernt, als der kleine Fuchs noch etwas anderes entdeckte. Hinter jedem der leuchtenden Punkte tauchten jetzt zwei kleine weiße Kreise auf. Kreise, die fast so aussahen wie … wie Augen! Ja, das waren Augen und zwar sehr, sehr viele. Strubbelrutes Fell stellte sich auf und der kleine Fuchs fing an zu zittern. Aber anstatt wegzulaufen, ließ er sich wie Marvin auf den Boden fallen und legte zwei Pfoten schützend über die Augen. Zwischen einem kleinen Spalt hindurch beobachtete er, wie die seltsamen Geschöpfe immer näher kamen. Hinter den weißen Augen entdeckte er eine dünne, ebenfalls weiße Linie, von der ganz viele noch dünnere Linien abzweigten. Es sah fast so aus, wie die Äste eines Baumes, nur dass der weiße Baum hier quer lag. Und sich bewegte.

Zitternd und bibbernd lagen Strubbelrute und Marvin auf der Wiese und versuchten, sich vor den geheimnisvollen Wesen zu verstecken, die der Nebel mitgebracht hatte. „B-b-bitte, t-t-tut uns nichts“, stammelte Marvin hilflos. Doch zu ihrer Überraschung erklang aus dem Nebel fröhliches Gekicher. „Hihi, euch haben wir aber schön erschreckt, was. Ihr seht ja aus, wie eine Angstkröte.“ – „Stimmt gar nicht“, antwortete Marvin, weniger aus Mut, als aus gekränktem Stolz¬¬. „Stimmt ja doch.“ Strubbelrute richtete sich vorsichtig auf, eines der Wesen blieb direkt vor seiner Schnauze stehen. Er konnte nichts erkennen, außer den weißen Augen, den weißen Linien und einem leuchtenden Punkt, den das Wesen direkt vor seinen Augen trug. So etwas hatte der kleine Fuchs noch niemals zu vor gesehen. „Was seid ihr?“ fragte er neugierig. Strubbelrute schnüffelte an dem sonderbaren Wesen, das direkt vor ihm angehalten hatte, doch zu seiner Verwunderung roch er gar nichts. „Hihihi“, antwortete das Wesen belustigt, „du kannst uns nicht riechen und du kannst uns auch nicht sehen. Aber ich kann dich sehen. Buh!“ Damit riss das Wesen die weißen Augen auf, um Strubbelrute zu erschrecken, doch der kleine Fuchs dachte gar nicht daran, sich noch einmal erschrecken zu lassen. Mit einer raschen Bewegung seiner Pfote fing er das Wesen ein. „Hey, lass das!“ – „Nee, du sagst mir jetzt sofort, was du eigentlich bist.“ – „Ich bin ein Nebelfisch, das sieht man doch.“ Das
Wesen klang beleidigt. „Ein Nebelfisch?“ staunte Strubbelrute ungläubig. „Ja, ja wir schwimmen im Nebel. Damit wir was sehen, haben wir eine Laterne dabei. Wir tun niemandem was, aber hin und wieder versuchen wir, jemanden zu erschrecken. Gerade jetzt, wo die Tage immer kürzer und geheimnisvoller werden, macht uns das einen großen Spaß.“ Strubbelrute musste grinsen. Auch er hatte vorhin überlegt, seinen Freund Marvin zu erschrecken und er konnte sich gut vorstellen, was das für einen Spaß macht. Er ließ den Nebelfisch wieder frei und beobachtete, wie er durch den Nebel zurück zu seinen Freunden schwamm.