Die Königin der Blumenfeen

Faul und träge liegt Strubbelrute auf dem Rücken und lässt sich die warmen Strahlen der Mittagssonne auf den Bauch scheinen. Er ist heute schon durch den Wald gestreift, hat leckere Früchte genascht und einen kleinen Wasserfall besucht – jetzt ist er einfach nur müde. Der kleine Fuchs streckt sich und gähnt herzhaft. Einen kleinen Mittagsschlaf hat er sich verdient. Er rollt sich gemütlich zusammen, blinzelt noch einmal kurz in die Sonne und schließt die Augen. „Struuuuubbelruuuutääää!“ ertönt da ein gewaltiger Schrei. Sofort springt der kleine Fuchs auf und lauscht erschrocken in den Wald: „Komm mal heeeeheeeer!“ Kein Zweifel, der Schreihals ist Marvin. Strubbelrute weiß genau, dass Marvin solange schreien wird, bis der kleine Fuchs zu ihm gekommen ist. Also macht er sich schlecht gelaunt auf den Weg.

„Da bist du ja endlich“, mault Marvin als ihn Strubbelrute erreicht, „Warum hat das so lange gedauert?“

„Sei froh, dass ich überhaupt hier bin. Ihr Wald- und Wiesenoktopusse seid wirklich sehr, sehr undankbar“, schimpft der kleine Fuchs verärgert, „Was ist denn überhaupt schon wieder los?“ 

„Schau mal, dort!“ Mit zwei seiner Arme zeigt Marvin auf einen riesigen Felsen, der mitten im Wald auf einer Lichtung liegt. Ganz oben auf dem Felsen wächst eine einzelne wunderschöne Blume, deren Blütenblätter in allen Farben des Regenbogens leuchten. Neugierig schleicht Strubbelrute zu dem Felsen und bestaunt die Blume, die direkt aus dem harten Stein zu wachsen scheint. Noch nie hat er so etwas Prachtvolles gesehen.

„Tschihi“, lacht Marvin, „ich wusste, dass dir die Blume gefällt. Da kannst du sie ja jetzt pflücken.“

Verdutzt starrt der kleine Fuchs seinen Freund an: „Pflücken? Aber wieso?“

„Na für meine Wiese natürlich!“ Marvin rückt sich das Stückchen Wiese zurecht, das er wie üblich auf dem Kopf trägt. „Mit der Blume wird meine Wiese noch viel, viel schöhöner, als sie jetzt schon ist.“

„Ist die Blume nicht ein bisschen zu auffällig, um sich zu tarnen?“ fragt Strubbelrute listig.

„Öh“, macht Marvin und kratzt sich verlegen am Kopf. Doch dann sagt er trotzig: „Ich brauche die Blume trotzdem. Und wenn du sie nicht holst, werde ich so viele Tage lang schreien, wie ich Arme habe. Auch nachts. Großes Wald- und Wiesenoktopus-Ehrenwort.“ Er verschränkt vier seiner acht Arme vor der Brust und blickt Strubbelrute herausfordernd an.

Was bleibt dem kleinen Fuchs da anderes übrig, als Anlauf zu nehmen und geschickt auf den Felsen zu springen?

Vorsichtig schnüffelnd nähert sich Strubbelrute der seltsamen Blume, die einen ganz wunderbaren Duft verströmt. Plötzlich hält der kleine Fuchs inne – denn ausgestreckt auf den zwei größten Blütenblättern liegt ein winziges, zierliches Geschöpf.

„Oh!“ staunt Strubbelrute. Das Geschöpf öffnet die Augen und starrt überrascht den kleinen Fuchs an. Im nächsten Moment wächst die Blume blitzartig nach oben, so dass Strubbelrute die Blüte nicht mehr erreichen kann.

„Was willst du?“ erklingt eine leise, aber angenehme Stimme von oben.

„Wer… wer bist du?“ stammelt der kleine Fuchs ungläubig.

„Ich bin die Königin der Blumenfeen“, antwortet die Stimme selbstbewusst, „Und nun sprich: was willst du?“ 

„Ihr Füchse seid wirklich sehr, sehr dumm“, ruft da Marvin von unten, „Du kannst noch nicht einmal eine Blume pflücken, ohne Ärger zu machen.“

 

„Du wolltest … die Regenbogen-Blume pflücken?“ fragt die Königin der Blumenfeen fassungslos.

 

„Nein, ich…Marvin wollte das – für seine Wiese“, stammelt Strubbelrute beschämt.

 

„Die Regenbogen-Blume blüht nur einmal im Jahr für einen einzigen Tag. Sie ist viel wertvoller, als ihr euch vorstellen könnt, denn sie bringt die Farbe in unsere Welt. Sie ist etwas ganz besonderes. Und du weißt das eigentlich, nicht wahr, Marvin?“

 

„Äh“, nuschelt Marvin und wird rot, „hab`s vergessen. Kann mir ja auch nicht alles merken.“

 

„Na, dann muss ich dich wohl einfach nochmals daran erinnern.“ Die Königin der Blumenfeen klatscht zweimal in die Hände und im nächsten Augenblick springen von überall aus dem Wald winzige Punkte direkt auf Marvin zu.

„Yippieh!“ – „Den schnappen wir uns!“ – „Auf Wald und Wies`n soll`n Blumen sprieß`n!“ – „Ich hüpf` behände durchs Gelände!“ – „Immer nur Arbeit, langsam reicht`s!“ ertönen von überall piepsende Stimmen.

Strubbelrute kneift die Augen zusammen, um besser zu sehen. Auf dunkelblauen Beeren sitzen winzige Geschöpfe, die aussehen, wie die Königin, nur kleiner und weniger schmuckvoll. Bei jedem Satz springen die Beeren einige Meter weit und nur wenige Augenblicke später haben sie Marvin erreicht. Die winzigen Blumenfeen stürzen sich auf die Wiese und in Windeseile sprießen neue Triebe empor. Der Wald- und Wiesenoktopus fährt sich mit 2 seiner Arme über den Kopf. „Ahhh“, brüllt er im nächsten Moment, „Unkraut!“ Panisch reißt er Pflanzen aus der Wiese doch sofort wächst etwas Neues nach. Tapfer kämpft Marvin einige Augenblicke gegen den wuchernden Wildwuchs auf seinem Kopf, doch gegen die vielen Blumenfeen hat er keine Chance. „Hilfäää“ ruft er schließlich und ergreift mit erhobenen Armen panisch die Flucht.

Strubbelrute sitzt oben auf dem Felsen und beobachtet lachend die überhastete Flucht seines Freundes. Elegant beugt sich der Stängel nach unten und die Blüte der Regenbogen-Blume hängt jetzt genau vor Strubbelrutes Kopf. Die Königin der Blumenfeen steht auf einem der Blätter und schaut dem kleinen Fuchs direkt in die Augen. Plötzlich überkommt Strubbelrute ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit, so als ob er die Blumenkönigin schon sehr lange kennt.

Die Königin streicht ihm sanft über das Fell: „Wir sehen uns bald wieder, kleiner Fuchs. Aber jetzt muss ich gehen.“

Strubbelrute zwinkert kurz, doch als er die Augen wieder aufschlägt, sind die Königin und auch die Blume verschwunden. Unsicher wischt sich der kleine Fuchs mit der Pfote über die Augen: Hat er das alles eben nur geträumt?